Das Thema der Digitalen Transformation in allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, einschließlich der Fertigungsindustrie, hat große Bedeutung errungen und wird nachhaltige strukturelle und prozesstechnische Veränderungen hervorrufen. Die Digitale Transformation der Industrie wird dabei in Deutschland als Industrie 4.0 bezeichnet. Die Vision von Industrie 4.0 umfasst die Echtzeit-Datenübertragung entlang der gesamten Wertschöpfungskette und damit eine vertikale und horizontale Vernetzung sowie die Digitalisierung des gesamten Produktlebenszyklus durch Cyber-Physische-Systeme und die Integration von Sensoren, Aktoren M-2-M und H-2-M-Kommunikation. Dabei verspricht die Anwendung der technischen Neuerungen und IT-basierten Lösungen eine enorme Steigerung der Produktivität und Effizienz sowie eine hohe Ressourcenersparnis und letztendlich wirtschaftliches Wachstum und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
Jedoch ungeachtet aller Vorteile und Potenziale, die sich durch die Vision von Industrie 4.0 ergeben, steht die deutsche Industrie großen Herausforderungen gegenüber. Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass Industrie 4.0 bislang nur in begrenztem Umfang Einzug in die Fertigungsindustrie gehalten hat, wie eine im Jahr 2017 veröffentlichte Studie von Bitkom Research im Auftrag von Ernst & Young belegt. So sind sieben Jahre nach Publizierung des Konzeptes von Industrie 4.0 nur wenige konkrete Testanwendungen und Pilotprojekte zu finden. Zwar sind Industrie 4.0-Technologien und deren Thematik gefragt und das Interesse in der Fertigungsindustrie ist groß, den Schritt zur Konkretisierung von Industrie 4.0-Projekten wagen jedoch bislang nur wenige Unternehmen. Die Gründe hierfür sind dabei so zahlreich wie vielfältig. Finanzierungsaspekte, Fachkräftemangel im IT-Sektor, fehlende Standards und rechtliche Regularien sowie das omnipräsente Thema Security stehen dabei besonders im Fokus der öffentlichen Diskussion. Um diese literarisch diskutierten Aspekte durch praktische Erfahrung zu ergänzen, wurden daher 13 Experten aus ausgewählten Industrieverbänden sowie insbesondere aus Führungspositionen in der Fertigungsindustrie und IT-Beratung befragt.
Bei der Analyse der gesammelten Daten kristallisierten sich dabei insbesondere zwei Faktoren heraus die der Implementierung von Industrie 4.0 in der deutschen Fertigungsindustrie entgegenstehen und miteinander wechselwirken. Diese sind:
- die hohe Komplexität des Konzepts sowie
- psychologische Vorbehalte in der Führungsebene produzierender Unternehmen.
Ursachen und Wechselwirkungen hemmender Faktoren
Dem Konzept Industrie 4.0 fehlen umfassende Systemstandards, die zu einem Mangel an Interoperabilität in der Fertigungsindustrie führen. Durch die zunehmende Internationalisierung der Wertschöpfungskette, werden Standards jedoch auch in Zukunft eine große Herausforderung bleiben. Zwar wurde in Zusammenarbeit mit der Plattform Industrie 4.0 durch das Deutsche Institut für Normung (DIN) ein Standard für das Referenzarchitektur Modell Industrie 4.0 (RAMI4.0) veröffentlicht. Bislang ist die daraus resultierende Norm DIN SPEC 91345 jedoch noch nicht vollständig international anerkannt und zielt zudem eher auf ein einheitliches Verständnis des Themas Industrie 4.0 mit den beteiligten deutschen Akteuren ab. Dies bedeutet, dass es derzeitig keine EU-weit einheitlichen oder gar internationalen Systemstandards gibt. Zudem sind viele der bestehenden Anlagen im Maschinenpark deutscher Fertiger derzeitig nicht netzwerkfähig. Eine Nachrüstung ist zwar möglich jedoch mit enormen Kosten verbunden, sodass die meisten Unternehmen, gerade in Bezug auf die hohe Anzahl an KMUs Abstand von Investitionen nehmen. Auch der Austausch des bestehenden Maschinenparks ist in absehbarer Zukunft aus Zeit- und Kostengründen auszuschließen. Die ganzheitliche, dreidimensionale Vernetzung und der enorme Datentransfer sind zudem mit großen Sicherheitslücken verbunden und führen so zu einer allgemein restriktiven Haltung der Unternehmen besonders durch ungeklärte rechtliche Fragen, bei der Sicherung von Know-how und bei der Freigabe von sensiblen Produktionsdaten. Die geplante Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette basiert ferner auf einer unternehmensübergreifenden Echtzeit-Datenübertragung. Daher ist die Validität der komplexen Daten entscheidend für die Gültigkeit der gesammelten Informationen. Der enorme Fachkräftemangel im Bereich der Informatik und Datenanalyse erschwert jedoch die zielgerichtete Analyse der gesammelten Daten und angewandten Systeme stark. Den Unternehmen fehlt daher eine umfassende Implementierungsstrategie, welche den o.g. Punkten Rechnung trägt und zu einer sicheren und praktikablen Anwendung von Industrie 4.0-Technologien beiträgt. Das Zusammenspiel der o.g. Punkte, hier zusammengefasst als Komplexität, macht sich wiederum in erheblichen psychologischen Vorbehalten bemerkbar, die sich in einer generellen Zurückhaltung gegenüber den technischen Anwendungen im Kontext von Industrie 4.0 sowie der Zurückhaltung bei der Bereitstellung sensibler Verarbeitungsdaten für die Vernetzung in der gesamten Wertschöpfungskette darstellen.
Ausblick und Anforderungen für die Implementierung von Industrie 4.0
Die deutsche Fertigungsindustrie muss dringend aktiv werden, um den Anschluss an die Weltspitze und seine Position als einer der führenden Fabrikausrüster zu verteidigen und an die Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen. Dies erfordert allerdings ein übergeordnetes unternehmerisches Umdenken und die Bereitschaft zur Entwicklung und Anwendung innovativer Technologien sowie die Öffnung der Unternehmensgrenzen für einen übergeordneten Datentransfer. Des Weiteren und gerade dafür bedarf es einer ganzheitlichen Implementierungsstrategie sowie eine Vielzahl qualifizierter Fachkräfte im Bereich IT und Datascience. Die hohe Komplexität des Konzeptes Industrie 4.0 und die Masse an in Echtzeit transferierten Daten wird andernfalls kaum zu bewerkstelligen sein. Ob und in welchem Zeitraum Industrie 4.0 daher tatsächlich flächendeckend in der Deutschen Fertigungsindustrie Anwendung finden wird, bleibt somit offen, wenn gleichzeitig der überwiegende Anteil der befragten Experten davon überzeugt ist, dass die deutsche Fertigungsindustrie die Herausforderungen meistern wird. Festzuhalten bleibt daher, dass der zukünftige Erfolg der deutschen Fertigungsindustrie maßgeblich von der Fähigkeit abhängt, die durch Industrie 4.0 notwendigen Veränderungen der Strukturen und technologischen Prozesse zeitnah zu adaptieren und ins Produktionsumfeld zu integrieren.
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Das komplette Paper zum Thema finden Sie hier:
» https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3223765
Mitautoren
Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère
Prof. Dr. Dr. habil. Eric Frère studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann VWL und BWL in Würzburg und Köln, promovierte dann am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik der Ruhr-Universität Bochum und habilitierte 2012 an der Westungarischen Universität Sopron. 2016 erhielt er die Ehrendoktorwürde Dr. h.c. von der Universität Banja Luka. Nach Tätigkeiten beim Credit Commercial de France, bei Bayer UK und beim Bankhaus Lampe ist er seit mehr als 20 Jahren selbständiger Unternehmensberater für Corporate Finance und Asset Management und hat u.a. mehrere Börsengänge im Geregelten Markt organisiert. Darüber hinaus ist er Mitglied einiger Aufsichtsräte und Beiräte. An der FOM Hochschule wurde er 2001 zum Professor berufen und ist seit 2003 Dekan für BWL II sowie seit 2007 Direktor des isf Institute for Strategic Finance.
Prof. Dr. Alexander Zureck
Nach Tätigkeit in einem Essener Marktforschungsunternehmen im Bereich der Marktanalyse arbeitete Prof. Dr. Alexander Zureck als Kundenberater für Privatkunden und Gewerbetreibende in einem Kreditinstitut. Danach arbeitete er als Projektmanager im Finanzbereich. Heute ist er hauptberuflich Lehrender an der FOM Hochschule und Wissenschaftlicher Koordinator des isf Institute for Strategic Finance. Daneben berät er kleine und mittlere Unternehmen in betriebswirtschaftlichen Fragen.